Eigentlich denkt man ja, dass Staaten, die in regelmäßigen Abständen wegen der Gefahr von Hungersnöten die Welt um Hilfe bitten, froh um jede Hilfe wären, die sich ihnen bieten. Dass Nordkorea zu diesen Staaten gehört und dass dort, trotz einer scheinbaren Stabilisierung der Lage in den jüngsten Jahren nach wie vor teilweise kritische Versorgungsengpässe herrschen, ist denke ich für die wenigsten hier ein Geheimnis. Ebenfalls kein Geheimnis ist es, dass Nordkorea für Akteure von außerhalb (seien es Staaten, Unternehmen oder Hilfsorganisationen) ein schwieriger Partner ist. Das musste nach Medienberichten jüngst auch eine deutsche Entwicklungshelferin erfahren als sie des Landes verwiesen wurde.
Projektleiterin der Welthungerhilfe ausgewiesen
Regina Feindt war in Nordkorea als Projektleiterin der Deutschen Welthungerhilfe tätig (die dort schon seit Jahren hervorragende Arbeit leistet und innovative Projekte vorantreibt, die die Nahrungsmittelversorgung zu sichern helfen), bis sie vor einem guten Monat das Land verlassen musste. Eine Sprecherin der Welthungerhilfe sagte, man sehe keinen Anlass im Verhalten der Frau, der die Ausweisung rechtfertigte. Das deutsche Außenministerium gab an, in dem Fall bereits zweimal den nordkoreanischen Botschafter in Berlin einbestellt zu haben. Konkreter äußerte sich aber niemand zu den Gründen für die Ausweisung. Der Vorfall wurde bekant, weil Reuters aus der sehr überschaubaren Gruppe der in Nordkorea tätigen westlichen Ausländer einen Hinweis darauf bekam.
Obwohl es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass wir jemals erfahren (zumindest nicht zum Weitererzählen), warum Frau Feindt das Land verlassen musste, lohnt sich ein näherer Blick auf diesen Vorfall, weil sich daraus einerseits ein spannendes Bild auf die Herausforderungen des Arbeitens in Nordkorea eröffnet und sich andererseits Rückschlüsse auf das Sicherheitsbedürfnis und die Prioritätensetzung des Regimes in Pjöngjang ziehen lassen. Erstmal möchte ich daher die Ausweisung von Frau Feindt näher betrachten, indem ich auf vergleichbare Vorfälle und Erfahrungen aus der Vergangenheit Bezug nehme, um dann zu beschreiben, was Motivationen des Regimes für dieses Vorgehen sein könnte und welche Erkenntnisse sich für uns daraus ergeben.
Warum Nordkorea ausländische Helfer ausweist…
Die Praxis Bürger anderer Staaten auszuweisen, wenn sie irgendetwas tun, dass den herrschenden Autoritäten nicht passt, wird in aller Welt genutzt, nur dass Gründe für die Ausweisungen sehr unterschiedlich sind, eben ja nach dem was Verhaltensweisen und Handlungen sind, die den jeweils herrschenden Autoritäten nicht passen. Und dass es im Falle Nordkoreas vieles sein kann, das den Autoritäten nicht passt, das könnt Ihr Euch sicher denken.
…einige Beispiele
Tatsächlich sind einige Fälle bekannt, in denen Ausländer aus unterschiedlichen Gründen das Land verlassen mussten.
Der Deutsche Arzt Norbert Vollertsen sollte im Jahr 2000 das Land verlassen, nachdem er wiederholt westliche Medien auf Missstände und die schlechten humanitären Bedingungen im Land hingewiesen hatte.
Der australische Missionar John Short wurde 2014 nach kurzer Haft abgeschoben, weil er in Nordkorea versucht hatte zu missionieren.
2012 wurde jungen französischen und belgischen Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen ihre Visa nicht verlängert, weil sie eine “Workers’ party” gefeiert hatten, bei der die Teilnehmer als Arbeiter verkleidet kommen sollten. Die nordkoreanischen Behörden fanden dieses witzig gemeinte Motto auf Kosten der Arbeiter nicht lustig und setzten dem Aufenthalt der Helfer ein Ende.
In einem Interview hier auf dem Blog berichtet Entwicklungshelfer Gerhard Tauscher, dass einem deutschen Landwirtschaftsexperten sein Visum nicht verlängert wurde, weil er die Berechnungen der nordkoreanischen Behörden zur Lebensmittelknappheit in Zweifel zog. Von diesem Fall habe ich sonstwo nie etwas gelesen, so dass ich davon ausgehe, dass nicht alle Ausweisungen aus Nordkorea öffentlich werden.
Wenn es den großen politischen Linien entsprach, agiert das Regime aber auch schonmal übergreifend. So gab das Regime Ende 2005 bekannt, es gäbe keine Lebensmittelknappheit mehr und Nichtregierungsorganisationen, die Nahrungsmittelhilfe leisteten sollten bis Beginn des nächsten Jahres das Land verlassen haben.
Schere im Kopf?
Die oben genannten Beispiele dürften nur ein Ausschnitt des gesamten Bildes sein, denn wenn niemand darüber berichtet, dann erfahren wir natürlich auch nichts über eine Ausweisung. Und da in den meisten Fällen die betroffenen Organisationen kein Interesse an einer öffentlichen Thematisierung des Vorfalls haben, weil sie ja weiter im Land tätig bleiben wollen, dürften sich solche Fälle öfter mal unbemerkt von der Öffentlichkeit abspielen. In unserem Interview beschrieb Herr Tauscher damals recht eindrücklich, wie schwierig es ist, als Mensch der in Nordkorea arbeitet mit der Tatsache umzugehen, dass man aus unterschiedlichsten Gründen permanent Gefahr läuft, ausgewiesen zu werden:
Und um im Kopf klar zu bleiben, habe ich mir angewöhnt, einfach frei zu sprechen. Ich glaube, wenn man anfängt zu überlegen: “Hört jetzt einer mit oder nicht?” oder “Kann ich das, was kann ich jetzt genau sagen?”, ich glaub dann fängt‘s direkt an schwierig zu werden. Manchmal muss man vielleicht auch das Risiko eingehen aus dem Land zu fliegen, wenn man was zu gesagt hat, was jetzt dummerweise kritisch ist. Und das ist schnell passiert. Es sind einige, ich habe jetzt einige erlebt, die aus dem Land geflogen sind. […] Ich glaube es ist sinnvoll, eine Einstellung zu haben, dass man dort temporär ist und wenn man dann aus dem Land geschmissen wird, weil man irgendwas kritisch angemerkt hat, dann ist das halt so. Das macht einen in der eigenen Position stärker. Ich glaube zu versuchen, alles recht zu machen um Gottes Willen nichts Kritisches zu machen, das bringt einen auch nicht besonders weit.
Wenn man dann bedenkt, dass gerade die etwa 200 westlichen Helfer, die im Land sind, einem sehr engmaschigen Netz der Überwachung unterliegen, kann man sich vorstellen, dass kaum eine Tätigkeit oder eine Aussage eines der westlichen Helfer unbemerkt bleibt. Naja und wenn man dann aus einer Gesellschaft kommt, in der man erstens gewohnt ist frei zu sprechen und zweitens vielleicht auch garnicht so ein starkes Gespür dafür hat, was jetzt politisch kritisch ist und was nicht, kann man sich schon gut vorstellen, dass öfter mal etwas passiert oder gesagt wird, das zu einer Ausweisung führt.
Entwicklungshelfer wissen mehr über Nordkorea
Ein anderer Grund, der mit ursächlich für den scharfen Blick des Regimes auf die ausländischen Entwicklungshelfer sein dürfte, liegt in den besonderen Zugängen dieser Personen zum Land. Ich habe mal gehört, dass auch die Botschaftsmitarbeiter bei weitem nicht überall hinkommen wo sie gerne wollen. Entwicklungshelfer kommen oft an Orte, die den Botschaftsleuten verborgen bleiben oder an die sie bestenfalls gemeinsam mit den EZlern kommen. Das dürfte auch für die nordkoreanischen Behörden kein Geheimnis, sondern mit eingepreist sein. Trotzdem dürften sie ein sehr waches Auge darauf haben, wieviele Informationen mit wem geteilt werden. Auch hier kann es eventuell mal kritisch für Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen werden, wenn sie gegenüber den Falschen zu offenherzig sind. Generell kann man das natürlich als Paranoia abtun, aber das in anderen Staaten Hilfsorganisation gezielt für geheimdienstliche Tätigkeiten ist Fakt (auch ein interessanter Fingerzeig bezüglich der Abwägung Humanitäres vs Sicherheit, auf die ich später nochmal zu sprechen komme (nur wurde sie hier aus den Reihen der “Guten” zuungunsten humanitärer Fragen getroffen, was die Sachlage natürlich grundlegend ändert…)) und besondere Obacht von Regimen, denen ihre Sicherheit so wichtig ist, wie dem in Pjöngjang daher nachvollziehbar.
Abwägung des Regimes: Humanitäres vs Sicherheit
Und das alles geht ins Kalkül der nordkoreanischen Behörden im Umgang mit westlichen Hilfsorganisationen ein. Im Endeffekt ergibt sich daraus eine Abwägung zwischen zwei zentralen Zielen des Regimes. Die Sicherheit und das Wohlergehen der Bevölkerung, zu der die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen beiträgt, steht aus dieser Sicht dem Ziel der Sicherheit des Regimes gegenüber. Und wie diese Prioritätensetzung in Nordkorea seit Jahren ausgeht, darüber habe ich hier ja schon öfter geschrieben. Die Sicherheit des Regimes steht immer über allem und deshalb werden Entscheidungen im Zweifel immer zuungunsten der Hilfsorganisationen und damit auch der Bevölkerung getroffen. Das ist ein unmenschliches Kalkül, aber vor einer Ideologie, die das Überleben des Volkes unmittelbar mit dem Überleben des Führers verknüpft, ist sie folgerichtig.
Das Spiel ist bekannt
Weiterhin ist in dem aktuellen Fall anzumerken, dass alle Seiten bemüht waren, das nicht an die große Glocke zu hängen und dass die Ausweisung eher durch Zufall öffentlich wurde. Das lässt darauf schließen, dass das Vorgehen in solchen Fällen bereits ein Stück weit “eingespielt” ist. Pjöngjang will die Organisation im Land halten und die Welthungerhilfe will weiter dort arbeiten, deshalb wird das auf niedriger Flamme gekocht. Das heißt aber gleichzeitig, dass die Verantwortlichen in Nordkorea ziemlich sicher davon ausgehen konnten, dass es keine weitreichenden Folgen auf das Vorgehen geben würde, außer, dass sich der Botschafter in Berlin ein bisschen was würde anhören müssen und dass die Welthungerhilfe jemand neues einarbeiten müssen würde. Und auch nachdem es öffentlich wurde spielen alle mit und halten den Mund, so dass da kein grundlegenderer Konflikt draus entstehen kann.
Keine Prinzipienreiterei auf Kosten von Menschen
Und was den Grund der Ausweisung angeht: Natürlich kennt man den bei der Welthungerhilfe. Ob man das selbst als schwerwiegend genug dafür anerkennt oder nicht ist ja vollkommen irrelevant, denn für die Nordkoreaner war es schwerwiegend genug und die setzen die Regeln in ihrem Land eben selbst.
Nun könnte man kritisch anmerken, dass es ja wohl nicht sein kann, dass sich eine westliche Organisation sich solchen menschenverachtenden Regeln beugt und die Arbeit in Nordkorea generell kritisch betrachten. Jedoch übersieht man dann, dass man im Endeffekt dann nichts anderes tut als die Führung in Pjöngjang. Man wägt zwei Ziele gegeneinander ab und am Ende unterliegt das Ziel, die Situation der Menschen zu verbessern dem abstrakten Ziel: “Wir arbeiten nur mit euch zusammen, wenn ihr unseren Normen folgt.”
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